Félix Kama
Nur die Behinderten und die Greise aus meinen Stamm sind nicht gekommen, um mich am Flughafen zu verabschieden. Da die anderen, die in aller Herrgottsfrühe eintrudelten, kaum jemanden in der großen Stadt kannten, sind sie direkt zum Flughafen gegangen. Wie das Protokoll es verlangt, bin ich selbst gegen 14 Uhr eingetroffen, obwohl mein Flug erst um 20 Uhr war.
Ich glaube ich brauche ein dickeres Notizbuch. Ich habe ein Schulheft in einem Pygmäen Laden gekauft, in das ich all die Bestellungen eintrage. Ich habe folgendes notiert: 6 Telefunkern Radios, ein Trikot von Bayern München mit einem Autogramm von Franz Beckenbauer für meinen Neffen Bilana. Außerdem darf ich nicht vergessen: 8 Hamme; 3 Liter Eau de Cologne; Chanel Nr. 5, 6, 9 und 13; 1 Jagdgewehr mit Doppellauf; 1 Nagelknipser; 5 Motorsägen von Stihl; 17 Barbiepuppen und 1 Ken; 6 Fußbälle von Adidas; 8 Damenschuhe in pink, zitronengelb und Silber, 5 Paar Herrenschuhe alle schwarz; eine Herrenjacke in der Größe von Kanzler Kohl; 3 Original-Bierkrüge vom Oktoberfest in München und 1 Stern von Mercedes, 2 Sterne von Daimler, 3 Sterne von Chrysler und 1 Stern von Benz.
Es ist 19 Uhr und wir machen es uns in der riesigen Abfertigungshalle gemütlich um ein letztes gemeinsames Familien-Abendmahl einzunehmen. Die Frauen packen das Essen aus und der ganze Stamm setzt sich auf den Boden rund um die Töpfe herum. Das Menü besteht aus Couscous Maniok in einer glibberigen, scharfen Sauce. Dazu wird Palmwein gereicht. Wir essen alle vom selben Teller. Obwohl Löffel da sind, isst man Couscous mit den Fingern. Die genaue Zahl der Mitesser, und damit der erforderlichen Löffel festzustellen ist sowieso ein Ding der Unmöglichkeit, denn andere Reisende haben sich längst zu meinem Volk dazu gesellt. Wenn bei uns die Leute essen, ist es immer so: alle laden sich selbst ein, denn wenn es einen Notfall gäbe, würden auch alle spontan erste Hilfe leisten.
Wir lecken uns die Finger im Glauben, das Essen sei vorbei, als meine Tante mit viel Tamtam eine Speise auspackt, deren Aroma jeden sofort wieder hungrig macht. Wenn man die Schnecke fragt «Woher kommst du?», «Wer bist du?» «Wohin gehst du?» antwortet die Schnecke: «Ich komme von zu Hause», «ich bin ich» und «ich gehe nach Hause». Um so weise zu werden wie diese Schnecke, haben unsere Frauen sie zu einem ganz besonderen Gericht gemacht, denn nur so können wir uns ein bisschen von dieser Weisheit Einverleihen. Außerdem wird der Genuss dieser Delikatesse den Verdauungsvorgang so sehr verlangsamen, daß ich nicht in Verlegenheit komme, die Bordtoiletten im Flugzeug zu benutzen. Denn bei uns weiß jeder, daß die Toiletten der Weißen in deren Häuser sind, wenn nicht sogar neben den Esszimmern! Wie bei den Hottentotten! Welch eine Geschmacklosigkeit!
Doch zuvor noch eine kleine Einführung in das Verzehren von Schnecken: erstens: zwei Leute dürfen nie gleichzeitig die Hand in die Schüssel stecken. Zweitens, wenn man die Hand wieder herausnimmt, umrundet man ein Mal kreisförmig den Teller, daß auch wirklich jeder sieht, daß man nur ein einziges Stückchen genommen hat. Hier gibt es keinen Klassenunterschied, keinen Vortritt für die Älteren und ich kann Prinz sein so viel ich will, auch ich muß mich diesem Gesetz unterwerfen «ein Mal rein greifen, eine Runde, ein Stückchen nehmen».
Ich glaube, es ist allerdings höchste Zeit! Der Pilot ist gekommen, mir seine Ehre zu erweisen und mich anschließen zum Flugzeug zu begleiten. Das ist ein alter weißer Mann, der schon alle Zentimeter im Himmel über Afrika ausgemessen hat seit der Kolonisation über die Zeit der Unabhängigkeit hinweg bis zur Neokolonisation. Über ihn erzählt man sich, daß er ein wahrer Teufelskerl des Luftraums sei: vom Abflug bis zur Landung, bei Tag oder in finstrer Nacht, bei blauem Himmel oder bei Blitz und Donner kann er ohne jegliche Unterstützung vom Tower fliegen. Er ist so erfahren, daß er es sich erlauben kann in Gesellschaft der Passagiere während des Fluges zu speisen. Mein Neffe Bilana erzählt manchmal komische Geschichten. Er erzählt sogar, dass er im Untergeschoss seiner Pilotenkabine ein Doppelbett gäbe. Keiner weiß aus welchem Land er kommt und man sagt über ihn, daß er große Staatsmänner diese Republik herumgeflogen hat, deren Enkelkinder heute bereits Minister geworden sind. Er spricht unsere Stammessprachen, kennt sogar alle Sprichwörter und den neuesten Klatsch und Tratsch aus dem Dorf. Deshalb nennen wir ihn den «weißen Neger». Er erweist mir die Ehre und ich erhebe mich, um ihn zu grüßen.
– Wie geht’s?
– Danke gut.
– Wie geht’s der Frau?
– Danke, gut.
– Wie geht’s den Ochsen?
– Danke, gut.
– Wie geht’s dem Haus?
– Danke, gut.
– Wie geht’s den Kindern?
– Danke, gut.
– Wie geht’s den Eltern?
– Danke, gut.
– Wie geht’s den Freunden?
– Danke, gut.
– Gott sei’s gedankt. Entschuldigen Sie bitte meine Aufdringlichkeit? Aber wir warten die ganze Zeit auf Sie, um endlich zu starten.
Da nix anbrennt, lade ich ihn ein, mit mir Schnecken zu essen. Er bittet um einen Löffel und setzt sich neben mich. Der «Weiße Neger» mag vielleicht Afrika gut kennen, aber der Aufenthalt eines Baumstammes im Wasser macht noch lange kein Krokodil aus ihm. Tatsächlich fuhrwerkt er mit seinem Löffel im Topf herum wie ein Kipplaster in einem Vorgarten. Unsere Herzen verkrampfen sich mehr und mehr während wir tatenlos zusehen, wie nach und nach der Topf leer wird.
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Wenn ein Afrikaner kurz vor einer Reise nach Europa zum ersten mal steht, fühlt er sich ein bisschen wie vor einem ersten Rendezvous. Demjenigen der weggeht, gefällt das meistens. Schwerer ist die Trennung für die, die bleiben. Fernweh und Abschied vertragen sich nicht gut.
Gerade nach das Flugzeug sich in Bewegung setzt, entdecke ich meinen Neffen Bilana, der wie angebrannt neben dem Flugzeug her rennt und mir zuruft: “mein Onkel, meine Geschenke kannst du meinetwegen vergessen, aber vergeß nicht herauszufinden ob es dort fruchtbares Land gibt, und vor allem, denke auch daran…” Aber das Motorengeräusch des Flugzeugs verschluckte seine letzten Worte
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Aus der Luft betrachtet ist Europa rot, wegen der vielen roten Dachziegel. Bestimmt gibt es Ziegel aus anderen Farben, und wenn eine ganze Gegend rote Dächer hat, müssen sie wohl alle dem gleichen Besitzer gehören. Der ist bestimmt Kommunist.
Das Flugzeug landet sanft. Aber eins ist komisch: die Passagiere, die ihr Gepäck abgeholt haben, gehen geradewegs auf eine gläserne Mauer zu, die sich von ganz alleine öffnet und schließt, ohne dass jemand eine Türklinke drücken würde. Aber wenn ich mich der Mauer bis auf wenige Meter nähere, öffnet sie sich komischerweise nicht. Aber sobald ein Weißer mit seinem aufrechten Gang sich ihr nähert, öffnet sich der Sesam. Aber schweifen wir nicht ab, eins nach dem anderen: mein Gepäck.
Alle Leute sind jetzt schon fort. Wo soll ich ohne meinen Koffer hin? Wen soll ich fragen? Ich lese, spreche und schreibe zwar fließend französisch. Aber auf Deutsch kann ich bis jetzt nur „Guten Tag“ mit so einem naiven Lächeln, das deutlich machen soll, „ich verstehe leider nicht“. Ich durchforste den Schilderwald, doch alles ist auf Deutsch, Türkisch oder Englisch. Deutschland wäre also dreisprachig, genau wie die Schweiz?
Übrigens, wo ist denn eigentlich das Empfangskomitee? Warum ist der Manfred Rommel Stuttgarter Flughafen nicht mit dekorierten Palmzweigen geschmückt? Bin ich etwa in einem anderen Flughafen gelandet? Bei uns werden Leute von meinem Rang direkt an der Gangway abgeholt. Das Volk steht seit Morgengrauen Spalier und der Verkehr wird den ganzen Tag umgeleitet, so dass der Bereich weiträumig umfahren wird. Die Tanzgruppen geben ihr Letztes und die Musiker spielen wie verrückt auf ihren Instrumenten. Könnte es sein, dass es hier auch Analphabeten gibt? Ich hatte doch im Formular des Visa Antrags, genauestens angegeben, daß ich erster Prinz unter Prinzen bin, wahrer Sohn meines Vaters und Erbe seines Thrones. Ich habe es sogar in Großbuchstaben geschrieben mit Nota bene und Post Skriptum. Wo bin ich denn hier nur gelandet, wenn einem der Titel weder Respekt noch Autorität verschafft?
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Ich denke an die Lebensmittel in meinem Gepäck. Vor allem an den würzigen Stachelschweinebraten, den meine Mutter vor meiner Abfahrt mit aromatischen Kräutern liebevoll zubereitet hat.
Bestimmt gibt es auch in deutschen Wäldern Stachelschweine. Aber wer wird sie mir so lecker und geschickt kochen? Außerdem frage ich mich ob die wilden Kräuter des Urwalds überhaupt in so einem zivilisierten Land wachsen? Ich denke an mein Mbongo Tschobi, ich verzehre mich nach meinem Nkui, ich träume von meinem Ndole und esse im Geiste mein Okok. Vielleicht fliegen meine Koffer gerade in Richtung Grönland davon, oder nach Taka-tuka-land! Der Himmel ist ja voller Flugzeuge, nach überallhin und seine Wege sind unergründlich. Ich stehe da, verzweifelt, vor dem Gepäckfließband, und rufe die Wudu Götter an, dass sie mir wenigstens eine der drei Taschen wiederbringen. Wenn nur eine Tasche verschwinden sollte, wäre ich schon froh über die zwei anderen. Wenn zwei Taschen verschwinden, wäre ich glücklich über die dritte. Aber drei Taschen, und alle drei verloren, das ist schlimm! Wenn ich schlauer gewesen wäre, hätte ich vier mitgenommen, dann wäre mir schon eher eine übrig geblieben. Ja, vier hätte ich mitnehmen sollen. Das Fliessband schiebt weiter seine Schuppen vor sich her, die so schwarz sind wie meine Gedanken. Aber, man darf nicht aufgeben. Genau dann, wenn die Frau glaubt, sie kann die Wehen nicht mehr aushalten, kommt das Baby.
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Ich mache ein-zwei Schritte in die Richtung in der ich die Weißen habe durch die Mauer gehen sehen. Dann bleibe ich stehen. Gehen alleine nützt nichts, man muss auch wissen, wohin. In welche Richtung soll ich denn? Ich gucke durch die Glasscheibe in den Wartesaal. Für einen Schwarzen, der in Europa ankommt, sehen alle Weißen gleich aus.Das ist völlig normal. Jemand sagte mir mal, genauso wäre es für die Weißen, die in Afrika ankommen. Das verstehe ich nicht. So einen Blödsinn! Denn in schwarzen Kontinent gibt es doch Schwarze, Rabenschwarze und Kohlrabenschwarze. Den Unterschied sieht doch ein Blinder! Die Schwarzen aus den Bergen haben viel breitere Nasen als die von der Küste. Die Letztgenannten haben große Zähne vom vielen Fischessen, während die Pygmäen gespitzte Zähne haben, damit sie besser das Fleisch der Buschtiere essen können. Also ehrlich: wie könnte jemand mich mit einem Pygmäen verwechseln? Lassen wir das.
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Und da mein Sternzeichen Stier ist, rase ich mit gesenktem Kopf auf die Glasmauer zu. Oh Wunder! Sie geht auf! Manchmal reicht im Leben einfach zu stoßen statt zu viel zu theoretisieren. Wenn ich eines Tages nach Kamerun zurückkehre, lehre ich dort wie man durch Mauern gehen kann. Jetzt befinde ich mich in eine Kammer, doch zwei Männer mit Mützen und Schnurrbart versperren mir den Durchgang. Unter ihren Mützen kann ich ihre Gesichter fast nicht erkennen. Ich lächele. Die Mützen lächeln. Wir lächeln uns an. Sie müssen zum Empfangskomitee gehören. Der eine stellt sich hinter mich, der andere bleibt vor mir stehen. Endlich fühle ich mich gut umsorgt, gut beschützt.
Es folgt ein langer Satz auf Deutsch. Ich antworte, indem ich mit einem breiten Lächeln alle meine Zähne entblöße. Aber das Lächeln der Mützen ist verschwunden. Der kleinere der beiden wiederholt den Satz langsam, in einem autoritären Ton, als ob ich schwerhörig sei. Ich strenge mich an, um noch breiter zu lächeln. Doch da halte ich inne: Ich habe gerade zwei Worte erkannt, Pass und Kontrolle. Das ist der Vorteil der Globalisierung, es gibt Worte, die versteht man einfach in allen Sprachen: Polizei, Pass, Militär, Kontrolle.
Ich frage sie, ob sie französisch sprechen.
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Er holt ein Paar weiße Handschuhe aus seiner Hosentasche und zieht sie sich fiebrig über. Ein Weißer Mann, im Land der Weißen, der sich weiße Handschuhe über die weißen Hände zieht, um ein weißes Pulver an seine weiße Nase zu halten – was soll das geben? Aber ich habe keine Angst, denn das Pulver ist von exzellenter Qualität. Ich bin stolz darauf. Ich hole drei weitere identische Pakete hervor und halte sie ihnen zur Bestätigung hin. Jedes der Päckchen wiegt etwa 2 Kilo. Bei mir zuhause ist Couscous mit Maniokmehl mein Leibgericht, zubereitet mit kochendem Wasser und Okra parfümierter Fischsauce, eine Delikatesse. Ich versuche ihnen das Rezept auf Französisch zu erklären, aber die Mützen lachen nicht. Der größte von ihnen tritt ein paar Meter zurück und spricht mit jemand über ein dickes schwarzes Handy, das so groß ist wie die Radiorekorder, die bei uns die Fußballfans mit ins Stadion schleppen. Das ist ein komisches Gerät. Eine Tür geht mit einem Schlag auf und heraus kommen vier andere Mützen, an der Leine drei große deutsche Schäferhunde mit Mordlust in den Augen. Sie lassen diese Bestien an meinem Maniok Mehl schnüffeln! Ich bete zu meinen Voudou Göttern, dass diese wohl genährten Hunde mein wertvolles Mehl nicht fressen. Wo doch nicht einmal die Straßenköter bei uns in Afrika so was anrühren. Aber mit diesen zivilisierten Hunden weiß man ja nie, zumal es sich hier um 100 prozentiges ökologisch angebautes Bio-Produkt handelt. Alle meine Koffer werden unter die feinen Nasen der Hunde gehoben. Die Hunde geben mir Recht. Sie entdecken nichts Verdächtiges. Und plötzlich werden die sechs Mützen Wundersamerweise wieder freundlich. « Miam, Miam » sagt jeder der Mützen und zeigt auf mein Mehl. „Oui, miam, miam“ antworte ich jedem und lächele immer breiter. Seit langem breche ich mir hier einen ab um euch genau das zu erklären. Die sechs Polizisten und ich stimmen ein „Miam-miam-Acapella-Konzert in E-Dur an“.
Plötzlich hören wir hinter uns das Krachen von Knochen und sehen wie einer der Hunde gerade dabei ist, einen meiner knusprigen Stachelschwein-Schenkel zu verspeisen.
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Ich lasse meine zwei Taschen in der Ankunftshalle und gehe zurück, um die dritte zu holen. Aber die Mauer, durch die ich gerade eben gekommen bin, erkennt mich nicht mehr. Sie fängt wirklich an, mir mit ihrem Getue auf den Wecker zu gehen. Ich gehe fünf Meter zurück, ich vollziehe ein kleines Voudou Ritual. Ich nehme Anlauf, knalle volle Pulle gegen die Mauer und falle zurück wie ein nasser Sack. Und glaubt mir, wenn mein Kopf nicht geplatzt ist, dann nur, weil ich einen echten Dickkopf habe. Als ich dort auf dem Boden ausgestreckt so da liege, wird mir klar, dass ich meine Sache „verkackt“ habe. Vermutlich hätte ich ein christliches Gebet sprechen müssen. Der weiße Teufel, der diese Tür verhext hat, kann natürlich nicht mit schwarzer Magie besiegt werden.
Aber das schlimmste ist, dass sich kein Schwein in der Halle für meine Tragödie interessiert. Ich trommle an die Mauer auf, dass man mir von innen öffne. Nichts! Jemand sagt etwas zu mir und zeigt nach oben an die Mauer, die plötzlich so dumm geworden ist. Ich lächele ihn an. Aber er wiederholt nur was er gesagt hat. Er wird doch nicht denken, dass ich wie ein Affe da hoch klettere. Ich bin zwar ein echter Klettermaxe, aber doch nur bei Kokospalmen und Mangobäumen. Noch nie in meinem Leben bin ich eine gläserne Mauer hochgeklettert. In einer Art Taub-Stummen-Sprache erkläre ich ihm, dass ich noch einen Koffer da drin habe. Er zuckt mit den Schultern und geht seines Wegs. Eine halbe Stunde ist bereits vergangen und ich stehe immer noch da, wie ein Jude vor der Klagemauer, ohne Käppi, ohne Thora und ohne Bart, dafür aber voller Hoffnung, dass sich das Tor durch ein Wunder der Technik öffnen wird. Ich will meine Tasche haben. Auch wenn sie kaputt ist, so ist sie doch meine.
Plötzlich höre ich einen Tumult auf der anderen Seite der Mauer und sie öffnet sich. Neuankömmlinge stürmen heraus. Vielleicht hat man ihnen Begrüßungsgeld oder Bananen versprochen. Keine Ahnung. Ich jedenfalls bin selbst das Volk und mich interessiert nur, wie ich nach drüben komme. Also schwimme ich gegen den Strom bevor sich die Mauer wieder schließt. Aber rund um meine Tasche gibt es ein großes Militäraufgebot allesamt vermummt und mit kugelsicherer Weste. Sie sind gerade dabei, das kostbare Objekt meiner Begierde in die Luft zu sprengen. Ich spurte los und rette meine Tasche in der letzten Sekunde. Ich zeige ihnen weiterhin mein bereits bekanntes Lächeln und erkläre ihnen: „miam miam“. Sie brechen in schallendes Gelächter aus. Kopfschüttelnd entfernen sie sich von mir und wiederholen mit im Chor: „miam miam“
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Ich habe grade eben einen Brief von meinem Neffen Bilana bekommen, in welchem geschrieben steht: Seit deiner Abreise ist alles genau so geschehen wie du es vorausgesagt hast. Die Männer gehen ihren Tätigkeiten nach, die Frauen ebenso. Die Kinder spielen wie Kinder halt spielen und die Tiere kommen regelmäßig nieder. Die Sonne geht jeden Morgen auf und jeden Abend unter. Manchmal gießt es in Strömen aber meistens ist es unerträglich heiß. Alle Bäume haben ihre Blätter verloren und die meisten haben sie wiedergewonnen. Erzähl’ doch mal was bei dir da wo du wohnst alles so passiert. Dein Volk kann es kaum erwarten, dich wieder zu sehen.
( HIER ANFANG MIT ETON) Lieber Neffe Bilana, in den ersten Wochen habe ich mich tödlich gelangweilt. Man empfahl mir, doch den schönen Sommer und die Sonne zu genießen, mir, der ich aus 35° afrikanischer Hitze kam! Andere gute Seelen schlugen mir vor, im Schlosswald spazieren zugehen. Das war wenigstens eine gute Idee. Ich suchte überall nach einer Machete. Aber kaum einer wusste, was das ist! Wie stellen sie es hier denn an, wenn sie in den Wald gehen? Ich habe mich mit einem Küchenmesser ausgerüstet und bin losgegangen. Umsonst wartete ich darauf, die kleinen Wege zu verlassen zu können und auf Pfaden zu laufen. Die Pfade hier sind geteert, befahrbar. Fehlt nur noch, dass ich Affen oder Vögel auf Motorrädern vorbeifahren sehe. Alle Leute, die mir begegnen, sind sehr sauber angezogen, wie um in die Kirche zu gehen. Ein sehr disziplinierter Wald, sehr gut erzogen. Er weiss, er darf seine Besucher nicht schmutzig machen. Ein leichter Duft liegt überall in der Luft. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich Menschen aus 100 m Entfernung und doch bestätigt man mir, ich wäre im Wald. Die Menschen hier gehen wie die Geister. Sie lachen sehr diskret, als hätten sie Angst, ihre Zähne zu zeigen. Dabei sieht man in Afrika stapelweise Magazine, von denen schöne weiße Frauen mit strahlenden Zähnen herab lächeln. Wo sind die alle? ich habe frei. Nur wenige hundert Meter von menschlichen Siedlungen entfernt grasen Antilopen, mitten am Tag in diesem zivilisierten Wald. Nicht weit entfernt ist ein See. Aus dem klaren Wasser starren riesige Karpfen die Passanten unbewegt an. Man könnte mit einer Waage und einem Metermaß ins Wasser tauchen, sie wiegen, sie messen, sie filmen und sich von ihnen Autogramme geben lassen, die Fische würden alles Protestlos hinnehmen.
Ich gleite ins Wasser und schnappe mir einen kleinen bunten Fisch. Ein kleiner Frosch, ebenfalls in schillernden Farben, spring hoch und landet auf meinem Arm. Bin ich etwa, ohne es zu ahnen, mit diesen bunten Tieren verwandt? Der kleine Frosch fragt mich was ich denn hier suche. Der kleine Fisch sagt mir, daß es hier oft sehr kalt sei und daß es doch wirklich schade wäre, wenn ich meinen Teint verlieren würde. Ich erzähle ihnen, daß mein Neffe Bilana im Radio gehört hat, daß sich die Erde durch den Treibhauseffekt ständig erwärmt. Deshalb bin ich ja hierher gekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, ob ich mit meinem Volk hier her ziehen kann. Der kleine Fisch sagt mir, daß es sein Traum sei, ein fliegender Fisch zu sein, um dann in den wärmeren Gewässern der Südsee zu leben und mal was anderes zu sehen. Der kleine Frosch träumt von Afrika. Er hat auch im Radio gehört, daß es dort ein Land gibt, wo Milch und Honig fließt, wo es vor wohlgenährten Moskitos nur so wimmelt und wo die dicke, fette Tse-Tse Fliege gut gedeiht. Während hier die Insekten zwar recht wohlschmeckend seien aber unglücklicherweise vom Status der geschützten Tierarten profitierten. Als ich ihnen erläutere, daß wir bei uns Tiere auch gerne magen, aber im Kochtopf, hopsen meine Kommilitone ganz plötzlich ins Wasser als ob meine Hand brennen würde. Sie hätten mir ja wenigstens „Auf Wiedersehen“ sagen können. Was glauben die eigentlich? Ich bin zwar kein Vegetarier, aber rohes Fleisch esse ich grundsätzlich nicht.
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Eines Tages faulenze ich auf einer Wiese vor einem Schloss. Ganz oben im Himmel ziehen Flugzeuge weiße Linien, die immer dicker werden, je weiter die Flugzeuge sich entfernen. Bestimmt fliegen einigen nach Afrika. Das Schloss wird von Touristen stark besucht. Die Paare kommen und gehen, Hand in Hand, Arm in Arm, schauen in die gleiche Richtung. Jeder Schritt wird mit einem Kuss belohnt. Jeder Satz, nein, sogar jedes Wort, wird durch eine Zärtlichkeit unterstrichen, die Augen stets ineinander versenkt. Ich fürchte, daß die, die sich aufeinander im Gras räkeln nicht mehr weit davon entfern sind, die Sache ganz zu Ende zu bringen. Ich bin kein Spanner, aber bei diesem Spiel mit dem Feuer sind die Hände der Männer äußerst unternehmerisch. Nur zu, nur zu, ihr jungen Leute! Aber was macht ihr dann eigentlich noch zu Hause, wenn ihr hier schon alles gemacht habt?
So ungefähr wie dieses Bild der Liebenden stelle ich mir die Ewigkeit vor. In Afrika ist das ganz anders. Meine Eltern zum Beispiel habe ich noch nie gleichzeitig das Haus verlassen sehen. Spazieren gehen sie sowieso nie, sondern besuchen höchstens jemanden gemeinsam. Wenn meine Mutter oder mein Vater spazieren gehen, geht jeder der beiden für sich. Wenn sie zusammen ausgehen, lassen sie stets viele Meter Abstand zwischen sich, reden aber trotzdem miteinander und haben überhaupt kein Problem damit. Es ist nur so, daß mein Vater immer zuerst bereit ist, auszugehen und wenn meine Mutter sagt, daß sie jetzt auch bereit ist, ist es normalerweise so, daß sie noch mindestens sieben und zwanzig Minuten braucht. Sie hat es auch nicht leicht, die richtige Kombination auszuwählen bei 17 Kleidern, drei Paar Schuhen und drei unterschiedlichen Handtaschen. Da die Geduld nicht gerade die erste Tugend meines Vaters ist, ruft er ihr vom Hof aus zu, daß er jetzt mal langsam los gehe und sie sich dann unterwegs schon wieder treffen würden. So kam es, daß meine Mutter immer dreierlei tat, wenn sie aus dem Haus ging: sie schimpfte auf meinen Vater, schlang im Gehen ihr Tuch um den Kopf und rief uns Kindern zu, was wir gefälligst tun und lassen sollten.
Hier im Schloss erkennt man gleich die einsamen Seelen die herum schlendern, die Frauen die Hände vor den Brust gekreuzt, die Männer die Hände auf dem Rücken. Jeder trägt sein Kreuz so gut er kann. Meine Damen und Herren, erlauben sie dass ich hier kurz inne halte, um ihnen ein Problem zu schildern, das mich plagt. Ich kann bis heute nicht die Frauen von den Männern unterscheiden. Nicht nur weil sie alle Hosen tragen, egal ob Sommer oder Winter, sondern auch weil alle von hinten gleich aussehen. Mein Schamgefühl verbietet es mir, meinen Blick von unten nach oben wandern zu lassen, um an die Größe des Balkons auszumachen und so Männlein von Weiblein zu unterscheiden. Ich bin wirklich kein geiler Bock, aber stellen sie sich vor, in was für Schwulitäten einen das bringen kann, wenn man jemandem auf die Brust starrt, nur um herauszukriegen ob es eine „SIE“ oder ein „ER“ ist.
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Ein Pärchen interessiert sich für mich. Sie gehen einen Kaffee trinken, und fragen ob ich nicht mit ihnen kommen wolle. Sehr gerne. Ich trinke einen Apfelsaft. Sie bestellen einen Kaffee. Bei uns trinkt man morgens einen Kaffee vor der Arbeit, um sich aufzuwärmen. Aber um bei dieser Hitze mitten im Sommer Kaffee zu trinken, muss man schon kaffeesüchtig sein. Die Dame mag ihren Kuchen nicht auf essen und bietet ihn mir an. Meine gute Erziehung verbietet mir, mich zu entrüsten. Bei uns in Afrika bietet man zu Beginn einer Mahlzeit an, sie zu teilen, hier fragt man dich, wenn man schon satt ist, ob du die Reste willst, sonst muß man sie wegwerfen. In Afrika gibt man die Reste den Hunden.
Sie erkundigen sich über die verschiedenen Jahreszeiten bei mir und sind erstaunt, dass es in Afrika keinen Winter gibt. Die Dame fragt nach meinem Alter. Ich antworte ihr, etwa 35 Trockenzeiten. Wie vielen Jahren denn das entspräche? Ich kann es nicht genau wissen, denn bei uns gibt es manche Trockenzeiten, die länger als gewöhnlich dauern, und manchmal setzt die Regenzeit früher ein als sonst. Und da es zwei Trocken- und zwei Regenzeiten gibt… Ich frage sie nach ihrem Alter. Was ich denn schätze, will sie wissen. Ich schätzte zwischen 45 und 66 Jahren. Ihre linke Wange färbt sich rötlich und wird dann violett. Die andere Wange färbt sich langsam von orange zu grau ohne Übergang. Durch ihre fast geschlossenen Zähne, teilt sie mir verbittert mit, daß sie 28 Jahre alt sei. Zwei längerer Schweigepausen voller Beleidigung beenden unseren Cafebesuch.
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Ich kann nachts kaum atmen und ich ertrage die trockene Heizung nicht. Also vertraue ich mich einem Hals-Nasen –Ohren –Arzt an, der mein Leiden vergeblich unter all seinen Mikroskop sucht. Er stellt sich schließlich seiner Verantwortung und sagt: „Vielleicht liegt es an der Form Ihrer Nase, dass Sie Schwierigkeiten haben zu atmen. Denn wissen Sie, die Nase der Schwarzen ist ja nicht wie unsere“. Die Nase der Schwarzen ist breit während unsere schmal ist. Im Gehen frage ich ihn ob ich das nächste Mal eine Schraubzwinge für meine Nase mitbringen soll? Er verstehe mich nicht, sagt er mir. Ich ihn übrigens auch nicht.
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Mein lieber Neffe: der Vogel liebt die Lüfte, selbst wenn er sich von Zeit zu Zeit auf der Erde niederlässt. Der Fisch fühlt sich wohl im Wasser, selbst wenn es fliegende Fische gibt. Der Seemann fischt im Meer, selbst wenn er an Land lebt. Der Pygmäe fühlt sich im Wald zu Hause, die Wüste gehört dem Tuareg, der Eskimo schläft am besten in seinem Iglu, die Heiligen sind im Himmel und die Mensch haben die Erde für sich. Um die beiden miteinander zu verbinden, denke ich darüber nach, entweder eine Brücke oder eine Leiter zu bauen. Sag den zwei Streithälsen, sie sollen dir den Stier, die Stute und das Küken bringen und sag ihnen, sie sollen wieder kommen, um das Urteil zu hören, wenn die Nacht noch nicht vergangen und der Tag noch nicht angebrochen ist.
Weiß du Bilana, der Himmel ist eine einzige Ansammlung von Schäfchen Wolken. Man ist niemals oben. Sobald man auf eine Wolke sitzt, entdeckt man die nächste Wolke, die noch höher ist, die man aber von unten nicht sehen könnte.
* diese Monolog hat zahlreiche Preise bekommen
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